Wenn Rekorde purzeln, bleibt einem das in Erinnerung. Aber nur die nackten Zahlen (380 km an einem Tag hatte ich noch nie, der Rekord war - erst vor einigen Wochen -
) allein sind es nicht, die diese zwei Tage unvergesslich machen. Es ist einfach das intensive Erleben der Landschaft, meiner Heimat, die nicht hinter Güdingen aufhört und auch vor Nationalgrenzen nicht haltmacht, sondern noch viele, viele Kilometer weiter geht, jedenfalls in meinem Herzen, und auch von Frankreich jenseits meiner gewohnten Umgebung.
Es ist ja nun nichts Neues, dass man auf dem Rad von der Umgebung viel mehr mitbekommt als im Auto. Aber so, wie ich es jetzt erlebt habe, war es einfach herrlich.
Doch der Reihe nach: Diese Fahrt nach Dommartin bei Lyon zu unseren Freunden, den Doreaus, hatte ich eigentlich schon im letzten Jahr vorgehabt. Damals war ich aber gesundheitlich nicht in der Lage, sowohl die nötigen Fundamente im Training zu legen als auch eine solch lange Strecke am Stück zu fahren. Nun, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Ich fürchtete mich ein wenig, als würde ich in das große Unbekannte starten, dabei waren wir die ersten 100 km der Strecke durchaus vertraut.
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Der "Canal de la Marne au Rhin" bei Gondrexange |
Auf dem Weg dorthin kam ich durch
Blâmont und traf dort auf die
Vezouze, einen Nebenfluss der Meurthe, der bei
Luneville ca. 30 Kilometer weiter westlich mit dieser zusammenfließt.
Es ging einige Kilometer flussabwärts bis
Domèvre-sur-Vezouze, wo ich nach Süden abbog und mich daran machte, die Wasserscheide zur Meurthe zu überqueren.
Diesen Teil der Strecke kannte ich: Vor vielen Jahren bei den regelmäßigen Ausflügen des SPD-Ortsvereins Schwarzenholz an die Skihütte des TV Püttlingen in Ventron in den Südvogesen waren wir öfter hier entlanggefahren.
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Hurra, hurra, die Saarländer sind da! |
Da überholte mich ein Auto mit Neunkircher Kennzeichen, kurz danach hielt es vor mir an. Mir war klar, dass das Radfahrer waren, und ich hielt an, um ein wenig mit Ihnen zu plaudern. Einen der Insassen kannte ich, es war Christian Alt, der mit zwei seiner Kollegen unterwegs war, um ein wenig die Vogesen zu erkunden. Die Jungs wünschten mir Glück, dann ging es auch schon weiter.
Ich durchfuhr die hügelige Landschaft in Richtung Baccarat, links hatte ich immer die Vogesen im Blick. Es ging durch
Montigny und
Merviller und danach noch ein wenig bergan, ich stoppte kurz zur Nahrungsaufnahme, und dann war ich auch schon auf der kurzen Abfahrt in Richtung Baccarat, unter der über eine hohe Brücke führenden N59 hindurch und dann gings nach links in den Ort und an die Meurthe. Ich überquerte den Fluss und genoss die Aussicht.
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Kurz vor Baccarat |
Nun kam ein doch schon etwas fordernder Anstieg aus dem Tal der Meurthe hinaus: Knapp drei Kilometer lang, beständig steigend mit 100 Metern Höhendifferenz.
Ich ließ es ruhig angehen, trat 190 Watt im Schnitt und war nach knapp zehn Minuten oben am "Col de la Pêche" - mit richtigem Col-Schild, das 370m über N.N. auswies!
Hier verließ ich auch das Departement "Meurthe et Moselle" und kam ins Departement "
Vosges".
Danach ging's runter ins Tal der
Belvitte, eines Nebenflußes der
Mortagne, die ich nach der Überwindung einer weiteren Hügelkette in
Rambervillers erreichte - mittlerweile standen schon 140 km auf dem Tacho.
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Baccarat und die Meurthe |
Aber dankenswerterweise konnte ich in einem Blumenladen gegenüber der Kirche meine Trinkflaschen auffüllen und schon ging's weiter auf der D46 über die nächsten Hügel, durch
Vomécourt,
Padoux,
Sercœur und
Longchamp ab hinein in die Departementhauptstadt
Épinal. Wäre ich hier auf der D46 geblieben, anstatt links abzubiegen, wäre ich direkt auf den
Canal des Vosges gestoßen, der über die
europäische Hauptwasserscheide hinüber in das Nebental der Saône führt, das ich später auf anderem Weg erreichen sollte.
So aber kam ich über die parallel verlaufende D420 mitten in Épinal an, erblickte die Mosel und machte in der Innenstadt eine Mittagspause mit einem alkoholfreien panaché und einem Sandwich, ehe ich den Anstieg aus dem Moseltal hinaus durch den Stadtteil Chantraine in Angriff nahm.
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In Épinal an der Mosel |
Knapp drei Kilometer, ca. 125 Höhenmeter, dann war man auf einer Art Hochplateau, der
Vôge, wo ich auf welligem Terrain überall nach einem Hinweis auf die europäische Hauptwasserscheide suchte, die ja hier irgendwo sein musste.
Auf ihr lag auch gleichzeitig der höchste Punkt meiner gesamten Fahrt. Tatsächlich lag dieser Punkt genau bei km 173 meiner Tour auf der D51 200 Meter südlich des kleinen Dörfchens
Renauvoid auf ca. 460m über N.N..
Rechts von der Straße entspringt die
Avière, die der Mosel zufließt, links davon der Ruisseau des Colnots, der dem
Côney, dem ersten nennenswerten linken Nebenfluß der Saône, zufließt.
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Am Canal des Vosges |
Kurz danach überquerte ich den Ruisseau des Colnots auch zum ersten Mal, und nach einem letzten Anstieg ging's in eine längere, ziemlich gerade Abfahrt, die im Tal des von links kommenden Côney endete: Nun war ich am Canal des Vosges angekommen. Ich hätte mir 60 Höhenmeter sparen können, wenn ich unten in Épinal der D46 und dem Kanal schon aus dem Moseltal heraus gefolgt wäre, aber so war's auch schön. Den Kanal komplett fahr ich aber auch irgendwann mal!
Ich bog nun links ab und folgte dem Kanal. Wäre ich auf der anderen Seite das Tal wieder hochgefahren, wären es nur noch 13 km über die D3 nach
Vioménil gewesen, wo die Saône entspringt (Luftlinie nur 9 km).
Die Landschaft hier ist wirklich wunderschön. Das Hochtal des Côney ist bewaldet, aber auf den angrenzenden Wiesen blühen tolle und bunte Blumen, und die Rindviecher wirken echt glücklich.
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Der Côney begleitet den Canal des Vosges und speist ihn auch |
Jetzt rollte es aber! Meine Durchschnittsgeschwindigkeit war wenige Kilometer vorher noch mit 27,8 km/h auf dem tiefsten Punkt angekommen, nun aber wuchs sie ständig:
Denn auf den ersten 15 Kilometern ab Erreichen des Kanals trat ich wie befreit in die Pedale, fand einen runden Tritt und konnte - dank der nun überwundenen Wasserscheide - mit etwas über 200 Watt Einsatz einen schönen 31er-Schnitt fahren!
Nach etwas mehr als 200 gefahrenen Kilometern kam ich dann gegen 12:30 Uhr in
Fontenoy-le-Château an, wo ich kurz anhielt, weil mein Telefon klingelte...
Die dritten 100 Kilometer: Von Saône zu Saône, mit viel Auf und Ab und jeder Menge Sonne
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Fontenoy-le-Château |
200 Kilometer - das ist schon ein Brett, nur noch 40 km von meiner bisherigen Höchstleistung entfernt. Aber ich fühlte mich erstaunlich fit, weder am Hintern noch an den Füßen hatte ich Schmerzen, und auch, wenn es ein bisschen warm war für meinen Geschmack - das Thermometer zeigte deutlich über 30 °C an - konnte ich überhaupt nicht klagen, zumal der Wind kaum zu spüren war.
Am Telefon war übrigens der Pressesprecher meiner Verwaltung mit der Bitte, mich mal beim SR zu melden, die wollten ein Interview mit mir machen.
Ich probierte es gleich, erreichte aber niemanden, dafür klingelte mein Telefon einige Minuten später. Ich hatte kurz das Tal des Côney verlassen, weil an der Stelle kein Weg am Kanal vorbeiführte, und befand mich auf einer Anhöhe hinter
Ambiévillers auf der D434, wo ich kurz Rast machte.
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Hinter Ambiévillers vor der erneuten Abfahrt zum Kanal |
Genau hier endete übrigens das Departement "Vosges", jetzt war ich im Departement "
Haute Saône". Mit Marc Weyrich führte ich dann ein nettes Interview.
Danach ging's weiter, nach einer kurzen Abfahrt war ich wieder am Canal des Vosges und ca. 20 km später kam ich dann zum ersten Mal an die Saône, die an der Stelle, wo der Côney ihr zufließt, gerade mal 55 km jung ist, also noch 425 vor sich hat, bevor sie in
Lyon in die
Rhone mündet.
221 km hatte ich nun. Noch 19, dann würde der neue Rekord stehen! Ich weiß nicht, ob es diese Einsicht war, aber just in dem Moment meldeten sich erstmals meine Füße mit noch zarten Protestrufen.
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Die noch junge Saône kurz vor der Aufnahme des Côney |
Es war nun auch so richtig heiß, und langsam wurde es mühsam, zumal hier im Saône-Tal nun, da ich dem Fluss, der nach Südosten floss, nicht mehr folgte, sondern statt dessen den kürzeren, geraderen Weg nach Südwesten nahm, einige Nebenflusstäler mit entsprechenden Hügelketten auf mich warteten.
Und es waren deren einige - zwischen La Gare und
Jussey überquerte ich die
Amance,in
Montigny-lès-Cherlieu die
Ougeotte, in
Fouvent-le-bas den
Vannon, in
Achey den
Salon.
Zwischen Jussey und Montigny-lès-Charlieu war es dann soweit: Der Tacho zeigte 240 km an, und mein neuer Streckenrekord für eine Eintagesfahrt stand - und sollte noch wachsen.
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Suaucourt-et-Pisseloup bei km 258 |
Aber nun wurde es auch beschwerlich. Der Planet brannte, ich war schon ein wenig müde, und das ständige Auf und Ab zehrte auch ein wenig an meinen Nerven. Da nutzte auch die Schönheit der Landschaft wenig.
So legte ich ab und an kurze Pausen ein, um meine Trinkwasserflaschen regelmäßig aufzufüllen (ich trank ca. 0,8 Liter auf 20 Kilometern).
In Achey machte ich auch eine längere, weil ich in der Dorfmitte einen mittelalterlichen Waschplatz fand, der zum einen überdacht war, zum anderen nicht nur einen Frischwasserbrunnen, sondern auch ein großes Becken mit kaltem Wasser hatte, wo man Arme, Beine und vor allem Füße schön abkühlen konnte. Perfekt! Danach fühlte ich mich wie neugeboren.
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In Achey war so etwas wie ein Jungbrunnen... |
Mein Zeitplan war nun aber schon ein wenig durcheinandergeraten: Durch die Trink- und Abkühlpausen (die aber wirklich auch notwendig waren) hatte sich meine voraussichtliche Ankunftszeit in Dommartin trotz eines fast um zwei km/h höheren Schnitts als geplant bereits auf 01:00 Uhr in der Nacht verzögert.
So lange wollte ich die Doreaus aber nicht warten lassen, einen Tag vor der Kommunion. Dann doch lieber zwischen km 350 und 400 Pause gemacht und morgen den Rest gefahren!
Weiter ging's über die Nebenflüsse der Saône: In
Oyrières und
Auvet-les-Chapelottes überquerte ich verschiedene Bäche des Bachsystems der
Ecoulottes. Dann ging's in Richtung
Talmay: Mittlerweile waren 300 km absolviert! Raus aus dem Departement "Haute Saône", rein ins Departement "
Côte-d'Or"...
km 300 - km 380: Ab jetzt flach, etwas kühler und erträglich - mit der "zweiten Luft"
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Brücke über den Salon hinter Achey |
In Talmay, wo ich eine weitere Pause machte, fuhr ich über die
Vingeanne, in
Vonges über die
Bèze, (ein sehr interessanter Fluss, der sich teilweise aus den versickernden anderen Nebenflüssen der Saône in der Gegend, namentlich der
Tille und der Venelle, speist und aus einer großen Karstquelle austritt) in
Champdôtre über die Tille und in
Trouhans über die
Ouche.
Seit Talmay (wo ich leider nach der Pause vergaß, meinen Tacho wieder zu starten, und deshalb 10 km ohne Zähler fuhr, was nach der Heimkehr sehr mühselige und langwierige Reparaturarbeiten an der FIT-Datei erforderlich machte) war trotz der vier recht großen Flüsse, die ich querte, das Terrain schon sehr flach, es gab kaum Steigungen.
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Landschaft gab's jede Menge auf der Fahrt! |
So kam ich doch noch ganz gut voran - und schließlich doch wieder an der Saône an, nämlich in
Saint-Jean-de-Losne, wo die Saône schon zu einem richtig stattlichen Strom herangewachsen ist.
Es war mittlerweile 19.30 Uhr, die Temperatur war auf erträgliche 26° C gesunken, und ich gönnte mir ein weiteres kühles Erfrischungsgetränk in einer netten Kneipe am Quai national.
Ich hatte zwischenzeitlich mit einem Hotel in Verdun-sur-le-Doubs ein Arrangement getroffen und den ersten möglichen Übernachtungspunkt - eben Saint-Jean-de-Losne - verworfen.
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Letzte Erfrischung - Saint-Jean-de-Losne am Quai national |
Ich war jetzt ja schon ein Stück südlich von
Dijon und die Athmosphäre war schon fast mediterran. Mein persönliches "Tal der Tränen" lag lange hinter mir - seit es endlich etwas flacher wurde und ich wieder mit ungefähr 30 km/h meinem Ziel entgegenfuhr, ging es mir auch wieder besser.
Was auch viel ausmachte - es war einfach nicht mehr so heiß. Ich genoss mein "panaché" und futterte noch einige der übergebliebenen Riegel, froh, dass mich im Hotel ein richtiges Abendessen erwartete.
Der nette Mann an der Rezeption hatte mir versprochen, dass alles bereit sei, wenn ich käme, ich solle nur eine halbe Stunde vorher anrufen. Perfekter Service!
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Brücke über die Saône |
Die Aussicht darauf trieb mich auch an: Nach der Überquerung der Saône (es sollte die zweite und auch die zweitletzte sein, aber für den heutigen Tag die letzte) fuhr ich auf flachem Terrain und mit einem fast konstanten 30er-Schnitt, die letzten 15 Minuten sogar mit einem 32er, dem Ziel entgegen.
Wenn das nicht noch die zweite Luft war, war es eben die dritte - egal.
Ich fühlte mich toll, und ich hätte sogar noch weiterfahren können - auf der anderen Seite war ich echt froh, jetzt meine Pause zu bekommen.
Zwischendurch mal wieder ein Departementwechsel: Raus aus "Côte-d'Or", rein in "
Saône-et-Loire". Nachteil der Fahrt in der aufkommenden Kühle und der nahenden "blauen Stunde": Mücken waren reichlich unterwegs, und mit gut 30 km/h und eingecremten Beinen bleibt da so einiges hängen...
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Nach 380 km: Verdun-sur-le-Doubs |
Kurz nach 21 Uhr war ich dann auf der Brücke über den
Doubs, den größten Nebenfluß der Saône, und unmittelbar danach in der "
Hostellerie Bourguignonne", einem schicken Hotel mit tollem Flair, nettem Personal und einer hervorragenden Küche.
Ich checkte ein, mein Rad wurde sicher in der Hauswäscherei verstaut, ich meldete mich bei meiner Familie und genoss eine gute Dusche und danach ein hervorragendes Abendessen.
Beim Aufräumen in meinem Zimmer fand ich dann ein kleines schwarzes Stück Plastik, von dem ich nicht wusste, was es darstellte. Es sollte noch eine Rolle spielen...
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Meine Herberge für eine Nacht - fürstlich! |
Meine Bevorratung war ganz gut aufgegangen, nur mit dem Getränkepulver war's knapp.
Aber ich hatte noch zwei Enduu-Ampullen, eine würde ich morgen nach dem Frühstück zu mir nehmen, die andere während der Fahrt in einer Flasche auflösen.
Ich glaube, dass ich einschlief, als mein Kopf das Kissen berührte. Unter Umständen auch einige Zehntelsekunden vorher. Jedenfalls schlief ich wie ein Baby...