Am Anfang war die Jagd. Tagelang waren die Männer durch die Steppe gelaufen. Sie wurden Staub, Hitze, Glut und Eis, sie wurden Gras und Schnee. Sie liefen ausdauernder als irgendein anderes Tier. Sie liefen dem Tier hinterher und wurden dadurch zu Menschen. Sie jagten, sie trugen Waffen, sie waren Läufer und ihre Füße und Herzen wetteiferten mit dem Wind.
Und jetzt sitzen wir hier. Sind mit Schreibtischen und Stühlen verwachsen. Sofas und Sessel sind neue Extremitäten und unser Herz ist ein lustlos pumpender bürokratischer Beutel. Unsere Karrieren sind chloroformierte Abenteuer, wir sind Papier, unsere Siege sind das Öl im Getriebe.
Besser kann man es eigentlich nicht beschreiben, was einen "Bürohengst" wie mich motiviert, Marathon zu laufen, als Torsten Körner es in diesem hervorragenden Essay im Kulturteil des Berliner Tagesspiegels vom 25.09.2011 tut. Ich habe es selbst versucht, in meinem Blog zum Marathon in St. Wendel 2010, aber der Journalist kann's nun mal besser...
Mein dritter Marathon nach Frankfurt 2009 und St. Wendel 2010 sollte nach meiner Wunschvorstellung der erste werden, bei dem ich die magische Marke von 3:00:00 unterbieten wollte. Zumindest aber mein persönliche Bestzeit von 3:09:23 (St. Wendel 2010) sollte fallen und mir die Qualifikation für den NYC-Marathon 2012 bringen (dazu muss man in meinem Alter unter 3:10h laufen).
Zur Vorbereitung:
Ich wußte, daß ich mir ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt hatte. Bereits letztes Jahr wollte ich in Berlin starten, nachdem ich bis dahin ein sehr gutes und intensives Laufjahr in den Beinen hatte (und auch viel und intensiv Rennrad gefahren war, u.a. den Tannheimer Tal-Radmarathon und eine 180-km-Tour auf den Mont Ventoux).
Fachmännisch repariert, aber trotzdem Berlin-Killer 2010: Plattenosteosynthese rechte Clavicula |
Beim Test-HM entlang der Blies |
Die Vorbereitung lief erfreulicherweise unspektakuär und ohne größere Probleme. Dank der guten Hilfe meines Orthopäden bekam ich auch leichte Schmerzen im linken Knöchel in den Griff (neue Einlagen und ein Supertrick: Bahneinheiten in umgekehrter Richtung laufen!).
Am 28.08. lief ich noch einen Test-Halbmarathon, der, wenn es ein Wettkampf gewesen wäre, persönliche Bestzeit bedeutet hätte.
Zum Rennen:
Freitags vor dem Marathon reiste ich mit der Familie an. Wir fuhren mit dem Zug, waren abends (recht spät) in Berlin, ein guter Freund stellte mir seine Dienstwohnung am Potsdamer Platz zur Verfügung. Das war perfekt, von dort bis zum Start waren es nur knapp 1 km, das verhieß eine bequeme Planung des Renntages. Wir gingen dann auch gleich ins Bett und schliefen Samstags gut aus, ehe wir den ganzen Tag mit Essen (Carbo-Loading), Sightseeing und dem Besuch der Marathon-Messe in Tempelhof beschäftigt waren. Abends ging's zeitig ins Bett.
Kurz vor dem Start (Dieses und alle folgenden Fotos: Claudia Thomas) |
Der Coach hatte mich vorgewarnt: Das Wetter sei tückisch. Und das war es auch: Am Morgen gegen 08.30 Uhr noch recht angenehm, aber gegen 11 Uhr schon superwarm, und vor allem mit einer ungebremst knallenden Sonne. Doch dazu später mehr...
Die Familie frühstückte dann etwas später, ich machte mich auf zum Start. Kleiderbeutel abgeben, und los zum Block D, wo die Läuferinnen und Läufer stehen sollten, die bisher Zeiten von 3:00-3:15 gelaufen waren. Block C war für Läufer mit einer kürzlich gelaufenen 2:50-3:00, B für solche mit 2:40-2:50, A für schnellere.
Diese Einteilung hat verschärften Sinn: Marathonläufer sollen eigentlich auf den ersten 30 km ein durchgängiges Tempo laufen, und nicht durch langsamere Läufer gebremst werden bzw. selbst schnellere Läufer bremsen. Das haben aber offenbar viele beim Berlin-Marathon nicht verstanden bzw. den Organisatoren ist es nicht gelungen, die fehlende Disziplin der Läufer zu kontrollieren bzw. zu sanktionieren.
Meine beiden "Prinzessinnen" fieberten mit: Amelie und Annabelle |
Und schon ging's, nach einer Teilstrecke durch die Mitte, die keine besonders bleibenden Eindrücke hinterließ (außer der Passage von km 14 in der Heinrich-Heine-Straße, wichtig für den Kopf: 1/3 ist geschafft), rein nach Kreuzberg. Kurz nach km 19 war der Mehringdamm, hier war ich gestern noch mit der Family Nudeln essen und den Skatern zusehen. Tolles Gefühl, und die Beine waren gut, ich war drauf und dran, wieder zeitlich "auf Kurs" zu kommen. Die letzten km: 4:10, 4:13, 4:14, 4:13, 4:14. Na also!
Mein "Fanclub": Annabelle, Jan-Robin, Amelie und Doris |
In der Goebenstraße dann die Halbmarathonmarke. Ich liege absolut auf Kurs und kann das Tempo noch gut halten. In Schöneberg, bei km 24 am Innsbrucker Platz stehen unter der Eisenbahnbrücke ca. 20 Trommler. Beeindruckend, aber ihr Sound erinnert mich eher an eine Sklavengaleere, anstatt mich aufzubauen. Rein geht's nach Friedenau, und bei km 25 kommen sie: Die ersten Schwächeanzeichen. Die Zeiten werden langsamer, unregelmäßiger, 4:21, 4:12, 4:19, 4:19. Ich fang schon an, mich anzustrengen, eigentlich ein paar km zu früh. Nach einer alten Weisheit beginnt der Marathon bei km 32, alles andere ist Warmlaufen. Schön ist, daß meine Familie mittels "U-Bahn-Hopping" den Weg zum Friedrich-Wilhelm-Platz gefunden hat. Das baut dann doch auf.
Bei km 26 ging's noch... | |||
In Schmargendorf kämpfe ich meinen letzten Kampf, versuche das Tempo zu halten in der Hoffnung auf die zweite bzw. sogar schon dritte Luft. Bei km 33,5, in Wilmersdorf kurz vorm Kurfürstendamm, steht mein Coach Jens Karraß mit einem geilen Schild: "Heul doch!" Das baute mich wieder ein bisschen auf, ich klatsche ihn ab, weiter geht's.
Aber nun wird mir immer klarer: Das reicht nicht für die Zeit unter 3:00. Trotz erhöhter Anstrengung werden die km-Zeiten langsamer: 4:18, 4:19. Bei km 36, an der U-Bahn-Station Wittenbergplatz beim KaDeWe, dann die Einsicht: Das hier hältst Du keine 6,295 km mehr durch. Oder du probierst's, kriegst einen Krampf oder schlimmer und musst aufgeben. Hinzu kommt die Sonne, die nun gnadenlos vom Himmel brennt: Gefühlte 30 Grad. Im Schatten lässt sich's erträglich laufen, aber sobald man wieder "ans Licht kommt", brennt der Planet.
Beim Brandenburger Tor |
Jetzt noch mal alle Kräfte mobilisieren: Ich sehe die Kollegin Pfiffi mit Familie auf dem letzten km vorm Hotel Adlon, Davina hat am Tag zuvor beim Mini-Marathon für die Saarländische Schulmannschaft über 4,2 km mit einer 17:37 eine tolle Zeit erlaufen, Glückwunsch! Viertbeste Mannschaftszeit, Zweiter Platz für das Saar-Team hinter Potsdam. Super!
Kurz vor'm Ziel kommt auch die Lockerheit wieder: Da kann man auch mal winken... |
Am Ende steht eine 3:03:54 (4:21/km), Platz 1439 (361. M40) unter 32997 Finishern, Weltrekord um 1:00:16 verpasst ;-). 1:29:51 für die erste Hälfte, 1:34:03 für die zweite. Und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 13,77 km/h.
Splits:
5 km: 00:21:31
10 km: 00:42:51
15 km: 01:04:04
20 km: 01:25:14
25 km: 01:46:40
30 km: 02:08:01
35 km: 02:29:15
40 km: 02:53:07
Erste Glückwünsche... |
Danke, Jungs! Ihr wart gut zu mir... |
Ab durch die Verpflegungszone, trinken, trinken, trinken. Leichtes Auslaufen, Hunger hab ich wenig, ein paar Kekse zwinge ich mir auf. Danach duschen, und die nächste Überraschung: In Berlin gibt's - im Gegensatz zu Frankfurt und St. Wendel - die Massagen ungeduscht, und auf eine lange Schlange hab ich jetzt keine Lust. Nix wie ab zur Familie, die mich glücklich und erleichtert empfängt.
Momentan tut mir alles weh, aber das läßt von Minute zu Minute nach. Der Schmerz geht, der Stolz bleibt. Direkt danach ein "Hintergrundgespräch" mit Günter Wettlaufer vom FORUM. Saarländische Erinnerungen ausgetauscht und mal wieder 5 neue gemeinsame Bekannte ausgegraben...
Wir bereiten uns langsam auf die Heimreise vor, den tollen Empfang in der Saarländischen Landesvertretung verpasse ich leider, der Zug geht, die Kinder müssen morgen in die Schule.
Aber Berlin war in jedem Fall eine Reise wert! Ein toller Marathon, und ich überlege ernsthaft, ob ich nicht nächstes Jahr nochmal hier starten soll, anstatt mit der erreichen Qualifikation (unter 3:10h bin ich ja dann doch geblieben) für 2012 exclusiv den NYC-Marathon anzugehen...
Weitere Links:
Meine Garmin-Aufzeichnung vom Berlin-Marathon 2011
Videos von der Homepage des Berlin-Marathons
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