Donnerstag, 15. September 2011

Von Kaizen, Sacktasten und Rotopressen...

(m)ein Tag als Müllwerker beim Zentralen Betriebshof Neunkirchen

Kaizen ist eine japanische Lebensphilosophie, die man grob mit "Veränderung zum Besseren" übersetzen kann. Die Kaizen-Philosophie plädiert für eine starke Einbindung aller Bereiche eines Unternehmens im stetigen Bemühen, ein besseres Arbeitsumfeld für alle Beteiligten zu schaffen - was auch bedeutet, daß Führungskräfte verstehen müssen, wie das Arbeitsumfeld der von ihnen geführten Mitarbeiter tatsächlich ist.

Als Bürgermeister der Kreisstadt Neunkirchen ist Teil meines Dezernates unser Zentraler Betriebshof (ZBN). Neunkirchen ist Mitglied im Entsorgungsverband Saar (EVS) und dort "Fuhrparkgemeinde", d.h. die Müllwerker sind städtische Beschäftigte und verrichten in der Kreisstadt Neunkirchen die Müllabfuhrarbeiten, für die sich der EVS in den meisten anderen saarländischen Mitgliedskommunen Privater bedient. Wir sind in Neunkirchen stolz darauf, diese wichtige Arbeit noch in eigener Verantwortung zu wissen. Müllwerker leisten harte, fordernde Arbeit - wie hart und wie fordernd, wollte ich selbst herausfinden und bat den Leiter des Zentralen Betriebshofes um die Möglichkeit, einmal hautnah eine "Schicht" als Müllwerker zu erleben - aber nicht im warmen Müllfahrzeug, sondern wie die anderen Kollegen auch auf dem "Trittbrett" und die Arbeit verrichtend, die die Müllwerker täglich tun. Es ist eben etwas anderes, ob in einem Vermerk steht "Die Tonnen sind aufgrund starker Befüllung schwer zu hantieren" oder ob man es selbst einmal tun muß, ob man liest "Die Geruchsentwicklung besonders im Sommer ist für die Mitarbeiter unangenehm" oder ob man selbst riecht, wie es stinkt.

"Mein" Fahrer, der Kollege Wolfgang Müller
Am Mittwoch, dem 15.09.11 war es soweit. Um 05.30 Uhr begab ich mich zum ZBN, modisch gewandet in eine orangefarbene Uniform und mit Sicherheitsschuhen sowie zwei Paar Handschuhen ausgestattet. Erst mal die ganze Mannschaft begrüßt, es waren ca. 25 Kollegen, bevor diese sich dann auf die verschiedenen Müllwagen und -touren verteilten und es um 05.45 Uhr losging. Der Fahrer unseres Müllwagens war der Kollege Wolfgang Müller, mein "Co-Lader" der Kollege Sascha Thobae. Unser "Revier" war das "nördliche" Furpach, also fast der gesamte Teil nördlich der L114 mit Ausnahme des Kohlhofweges und Teilen der Ewigkeit und Sebachstraße.

Sascha Thobae war nett und geduldig, als er mich in die Ladeautomatik und die Bedienung der Ladevorrichtung einführte. Manualbedienung, Automatik, Rückholtaste, Sperre, Not-Aus, dazu der Bediencomputer für das Identsystem - mein Schädel brummte ein bisschen, und auch das Hantieren mit den Mülltonnen ging ihm ganz natürlich und leicht von der Hand, während ich zumindest zu Beginn mit den Dingern ganz schön kämpfte. Aber mit der Zeit ging es immer besser. Der Trick ist, die Tonne so anzufahren, daß der Fühler der Ladevorrichtung sauber in die Griffleiste hereinrutscht, und - zack! - leert sich die Tonne. Da muss man nur noch darauf achten, schnell zur Seite zu treten.

Fasziniert betrachte ich hier den Entleerungsvorgang...
Langsam wurde es auch hell, und wir arbeiteten uns nach und nach durch die Straßen. Kleine Tonnen, große Tonnen, leichte Tonnen, schwere Tonnen, volle Tonnen, (fast) leere Tonnen - alles dabei. Leider auch einige, die nicht gerade fein rochen. Aber das gehört dazu. Als wir so gegen 08.30 Uhr im Lattenbüsch waren, hatte ich den Bogen einigermaßen raus, wobei meine Effizienz meilenweit hinter der des Kollegen zurückblieb, der mich aber immer wieder aufmunterte.

So gegen 09.00 Uhr tat mir so ziemlich alles weh - Füße, Rücken, Hände und diverse andere Körperteile, die ich mir gestoßen hatte. Dem Sascha Thobae hingegen merkte man nix an, aber der Job geht auch erfahrerenen Müllwerkern mit Sicherheit auf die Knochen, vor allem dann, wenn - anders als an diesem Tag - nicht die Sonne bei angenehmen Temperaturen scheint, sondern es kalt ist und es regnet, stürmt oder schneit und man Wohngebiete mit einer wesentlich höheren Tonnendichte abfährt, als dies im beschaulichen Furpach der Fall ist. Meine Wertschätzung für die harte Arbeit der Kollegen ist jedenfalls durch diesen Morgen sprunghaft angestiegen.

Der Kollege Sascha Thobae
hatte jede Menge Geduld mit mir...
Von Sascha Thobae lernte ich auch, was die "Sacktaste" ist: Stellt ein Bürger neben seiner Tonne noch einen beim ZBN erworbenen "EVS-Müllsack" neben die Tonne, wird dieser selbstverständlich auch entsorgt, muss aber ins System eingebucht werden - mittels der "Sacktaste" am Bedienelement des Identsystem-Rechners. Geht ganz einfach!

Unser Rotopress-Fahrzeug war dann auch irgendwann mal voll (Rotopress-Systeme bestehen aus einer großen drehenden Trommel mit bis zu 15 Umdrehungen pro Minute, der in die Schüttung eingefüllte Abfall wird durch das Gewinde der Trommel zerkleinert und in das Innere des Fahrzeugs befördert). Also auf den Bock und ab zur Müllverbrennungsanlage. Dort wurde das Fahrzeug verwogen und entleert. Zur Entleerung des Fahrzeugs wird die Heckklappe leicht geöffnet und die Trommel auf Rückwärtslauf geschaltet, das Fahrzeug wird ähnlich einem Betonmischer entleert. Die Bilanz war zufriedenstellend - fast 12 Tonnen eingesammelt, 486 Müllgefässe geleert - wobei das Verhältnis zwischen dem Kollegen Thobae und mir geschätzte 300:186 war - und da hab ich mich wahrscheinlich auch noch schöngerechnet...

Am Müllheizkraftwerk in Neunkirchen lieferten auch andere Müllentsorger an. Und da wurde mir beim Blick auf die Fahrzeuge einiges klar. Während die Müllfahrzeuge des ZBN durchweg in einem sehr guten Zustand sind, sah man bei einigen anderen, wo gespart wird - nämlich am falschen Fleck. Defekte Trittbretter, abgenutzte Haltegriffe, uralte Systeme - die Kollegen beim ZBN bestätigten mir auch nachher in Einzelgesprächen, daß sie bei all der harten Arbeit zumindest froh darüber seien, über gute Ausrüstung zu verfügen. Sicherheit geht vor - gerade bei einem so gefährlichen Job. Denn um die Menge des Mülls auch in angemessener Zeit einsammeln und verbringen zu können, kann sich der Kollege Müller beim Wechsel zwischen Einsatzgebieten auch keine Bummelfahrten erlauben. Da ist es wichtig, daß die hinten aufstehenden Kollegen über ordentliche Sicherheitselemente verfügen, was auch der Fall ist.

Nach der Entleerung war es dann auch Zeit für die Pause, die die Kollegen in den Sozialräumen des ZBN in der Fernstraße gemeinsam begehen, bevor dann der zweite Teil der Schicht beginnt. Für mich war glücklicherweise nach diesem Teil Schluss - viel mehr hätte ich auch nicht gepackt. Wer diesen Job Tag für Tag macht, leistet unheimlich viel. Danke an die beiden Kollegen für ihre Geduld mit mir, ich kann mich jetzt, denke ich, besser und vor allem kenntnisreicher damit beschäftigen, was sie Tag für Tag tun.

























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