Freiburg ist einfach nicht mein Pflaster...
Die nächsten Tage werden es zeigen: Kann ich überhaupt in Boston starten?
Mehrfach in diesem Blog habe ich schon davon geschrieben, wie problemlos meine Vorbereitung auf den Boston-Marathon am 20.04.2015 läuft: Die Plantarfaszie im linken Fuß hält Ruhe, der Plan passt, die Pulswerte sind niedrig, sogar eine persönliche Bestzeit über 10 km war dabei - alles toll. Bis gestern.
Der Halbmarathon in Freiburg sollte der letzte Test im 10-Wochen-Plan sein - nach zwei 10-km-Läufen quasi die Generalprobe drei Wochen vor dem großen Ereignis. Danach noch ein ganz langer Lauf über 35 km, 3*5 km im Wettkampftempo und ansonsten schon gemäßigte Belastung in Richtung 20.04.2015 sollten folgen.
Ich machte mich morgens um 7 Uhr mit Frau, Sohn und Hund auf in Richtung Breisgau, wir waren vor allem erfreut, dass das Wetter wohl nicht so schlimm zu werden schien wie vorhergesagt. Durchs Bitscher Land ging's ohne Regen ab, und hinter Straßburg kam sogar die Sonne raus. Allerdings war es sehr windig.
Nachmelderschicksal... |
Dort traf ich einige nette Laufkameraden, und während wir in der Schlange warteten, kam ich mit einem ins Gespräch, der Kerl war 2m groß und lief den Halbmarathon spontan. Ich erzählte ihm, wo ich her bin, er kam auch aus dem Saarland, so verging die Zeit. Erst später kam es mir in den Sinn, wer das war. Ihm ging's übrigens genauso. So ist das mit den Social-Media-Bekanntschaften. Wahrscheinlich waren wir beide schon im "Tunnel".
Danach die übliche Vorbereitung, mit der Familie die notwendigen Verabredungen getroffen, und schwupps war's auch schon 10:45 Uhr und ich machte mich auf zum Einlaufen und ab Richtung Startlinie. Es war trocken, aber der Wind blies ganz schön stark.
km 0-6: 23:48 (15,14 km/h)
Um 11:10 Uhr dann fiel der Startschuss, und ich ordnete mich so in Reihe 6-8 schön ein. Zunächst 150m geradeaus, dann eine Linkskurve. Pace: 3:40/km, zu schnell, klar, 3:55/km war ja mein Plan, aber der erste km ist ja immer schneller, also keine Panik. Vorne eine Linkskurve. Ich war mittig auf der Bahn und begann, wie üblich, langsam nach links rüberzudriften.
Ganz links mit dem gelben "Stillerstrong"-Stirnband... |
Dann ging's ganz schnell. Eine Läuferin rechts vor mir, die den Spruch "Die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten ist immer die Gerade!" offenbar sehr gut verinnerlicht hatte, wechselte abrupt die Richtung und steuerte ebenfalls das Kurveninnere an - und das, obwohl sie langsamer war als ich und meine Folgeläufer, offensichtlich hatte sie das Anfangstempo überzogen.
Ich hatte sie vorher schon im Auge gehabt und war im Begriff, an ihr vorbeizulaufen. Keine Chance: Um nicht in sie reinzurauschen, verlangsamte ich mein Tempo nur ein kleines bisschen, was fatale Folgen hatte: Direkt hinter mir waren zwei Läufer, und wir flogen wie die Dreckschippen zu dritt über- und durcheinander.
Da lag ich nun, und wie das dann so geht, wenn der Adrenalinschub kommt: Aufgesprungen, weitergelaufen. Linkes Knie auf, rechte Hand auf, beide Ellenbogen auf, Blut, Hautfetzen, es pochte und wurde heiß. Ich lief wie in Trance weiter, einer der Kollegen, die auch stürzten, neben mir. Wir schauten uns kurz an, nickten, wortlose Sportlerverständigung: "Alles klar, keiner schuld, weiter geht's, viel Glück!"
Nach dem Sturz: Wieder im Feld (Mitte links), weiter geht's! |
Also weder Knöchel, Knie oder Muskeln schienen in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt zu sein - mir taten einfach die offenen Wunden weh. Ich beendete den ersten km in 4:00, angesichts des Sturzes mehr als gut. Den nächsten sogar in 3:45. Dann aber begann ich, in mich "reinzuhorchen": Die linke Wade zwickte ein wenig, und hinten an der Kniekehle pochte es. Venga, venga!
Auch der nächste km in 3:52, ich hatte wieder meine Pace, wir kamen in die Zähringer Straße, und ich hatte eine schöne Gruppe gefunden. Das ist dann normalerweise der Zeitpunkt, wo man auf "Autopilot" schaltet und die gefundene Pace einfach hält, leider ging mir das aus nachvollziehbaren Gründen nicht so - mein Kopf war hellwach, ich tat mir selbst leid, "simmilierte", wie der Saarländer sagt, und merkte, dass die 3:55/km ganz schön anstrengend sind, zumal der Kurs in Freiburg nach dem dritten Kilometer für die nächsten sieben merklich ansteigt: Von ca. 250m geht's hoch auf fast 320.
Ich ächzte und puffte und konzentrierte mich darauf, die Gruppe zu halten, zumal der Gegenwind hoch Richtung Stadtgarten und Leopoldring richtig weh tat. Aber ich verlor auf die 3:55er-Pace und blieb deutlich dahinter, das merkte ich schon.
km 7-12: 23:44 (15,17 km/h)
Am Leopoldring sah ich Jochen Heringhaus, den "Van man", der mich - wenn auch erst auf Zuruf hin - wie immer herzlich begrüßte. Damit habe ich dann auch meiner Funktion als Botschafter meiner Stadt genüge getan - abgesehen von meinem Laufshirt, auf dem hinten "Neunkirchen - die Stadt zum Leben!" draufsteht.
Weiter ging's, jetzt durch die Kartäuserstraße die Dreisam hoch in Richtung Stadion des SC Freiburg. Auch hier heftiger Gegenwind. Ich versteckte mich feige hinter den breiten Rücken meiner Laufkameraden. Wir hatten nun die Hälfte des Laufs hinter uns, die Pace lag bei 3:58/km, aber ich hatte ständig das Gefühl, langsamer zu werden. Die Wade bzw. die Kniekehle fing auch an, wehzutun. Ans Aufgeben dachte ich aber nicht. Ich hoffte immer noch auf die zweite Luft bzw. auf die leichtere zweite Hälfte und hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, in Richtung 1:22:45, meiner persönlichen Bestzeit, zu laufen.
km 13-18: 23:39 (15,23 km/h)
In der Altstadt |
Denn trotz negativen Gefälles war die Pace unserer Gruppe gleichgeblieben. Egal, dachte ich, dann eben besser als 1:23:23, meine Freiburg-Bestzeit aus 2012. Ich kämpfte am Ende der Gruppe um den Anschluss, konnte den aber auch mit Mühe halten.
Das ist eben das Gute an diesen Vorbereitungsläufen als Wettkampf - man lernt zu kämpfen. Immer und immer wieder, lauter kleine Siege, wenn man es schafft, die Gruppe zu halten, eben nicht einzubrechen und eben nicht rauszunehmen. Zu widerstehen, wenn die Vernunft flüstert: "Ach komm', ist doch gut. Heut' ist eben nicht Dein Tag! Quäl Dich doch nicht länger, das bringt doch nichts..."
Mit einem "Allein gegen die Uhr"-Halbmarathon zuhause ist das einfach nicht das Gleiche. Die Galligkeit und die Rennhärte kann man sich eben nur in Rennen holen - davon bin ich fest überzeugt.
Ich fühlte mich dementsprechend hundeelend zwischen km 15-17, aber konnte das Tempo halten - wie ich nachher sah, wurde ich sogar schneller.
Neunkirchen - die Stadt zum Leben! |
Meiner Frau bedeutete ich mit einer kurzen Geste: "Gleich sterb' ich!" Aber Doris kennt mich. Sie kommentierte trocken: "Ja, ich seh's!" - und dann: "Los, weiter!"
Danach legte ich zu: Den zwischenzeitlichen Rückstand auf die Gruppe von ca. 25m hatte ich fast auf Null reduziert und dabei sogar den einen oder anderen überholt bzw. abgehängt, der ebenfalls aus der Gruppe rausgefallen war.
Auch wenn das für Nichtläufer gemein klingt: Sowas baut einen dann doch immer ein Stückchen auf.
Am Freiburger Bahnhof und einem kleinen Zwischenanstieg zwecks Überquerung der Gleisanlagen gegenüber der Herz-Jesu-Kirche bei km 17,5 war es dann soweit: Ich hatte die Gruppe wieder und blieb in der nun immer kleiner werdenden Schar gut drin. Das gab mir nochmals Auftrieb.
km 19-21,1: 12:03 (15,43 km/h)
Die Schmerzen konnte ich nun gut verdrängen, das Adrenalin tat seinen Job - wir liefen wieder nach Norden, der Wind kam jetzt ein wenig von hinten, und nach ein-zwei Kurven ging es auch schon vorbei am Hauptfriedhof. Die letzten beiden Kilometer lief ich dann doch in Zeiten um 3:50/km, wiewohl ich, als in der Kaiserstuhlstraße die Wade wieder zwickte, etwas herausnahm - eingedenk meines Muskelfaserrisses an dieser Stelle 2012, der mir die Teilnahme am Bonn-Marathon vermiest hatte. Aber auch schon hier war mir klar - sobald dieses Rennen rum ist, wirst Du leiden, die Schmerzen kommen sicher.
Im Ziel dann 1:23:14, eine halbe Minute über meiner persönlichen Bestzeit, aber 9 Sekunden schneller als 2012 in Freiburg. Übrigens das erste Mal, dass ein Start in Freiburg für mich keine persönliche Bestzeit brachte: Am 28.03.2010 (meiner Premiere) waren 1:27:27 neuer Rekord, und beim zweiten Mal, am 01.04.2012, war ich mit 1:23:23 ebenfalls so schnell wie nie zuvor gelaufen. Ich war recht zufrieden und auch stolz. Freiburg ist eigentlich ja kein Bestzeitenterrain, sehr wellig, viele Kurven, unebenes Kopfsteinpflaster, Straßenbahnschienen, dazu noch der Wind heute. Und nicht zu vergessen der Sturz. Von daher war die Leistung aller Ehren wert, denke ich.
Im Ziel: Gezeichnet, aber glücklich |
Ich quälte mich vor die Messe, um wenigstens noch ein wenig auszulaufen, aber das fiel mir hier schon sehr schwer, und nach einem Kilometer brach ich ab.
Unter die Dusche, Dreck und Blut abgewaschen, und beim Anziehen merkte ich schon, dass das Knie höllisch weh tat. Ich konnte das linke Bein nicht beugen. Na klasse! Unter den mitleidigen Blicken meiner Familie quälte ich mich ins Auto, der Appetit auf die Maultaschen war mir vergangen, nix wie hemm.
Abends dann wurde es noch schlimmer: Jetzt tat alles weh, vor allem, wenn ich nach 30 Minuten Couch aufstehen wollte. Was passierte, war mir klar: Der Körper nahm sich sein Recht, die traumatisierte Kniekapsel und der Gelenkapparat liefen mit Flüssigkeit voll, die Lymphe staute, um durch die Schmerzen den Körperbesitzer, also mich, dazu zu zwingen, jetzt aber Ruhe zu halten.
Ich machte mir große Sorgen, ob nicht vielleicht doch etwas kaputt sein könnte. Das wäre ja der Alptraum: Boston ist in drei Wochen, Flug und Startgebühr sind lange bezahlt. Ich entschloss mich, gleich am nächsten Tag zum Arzt zu gehen, durchlebte aber glücklicherweise eine ruhige Nacht und quälte mich nach Anlaufschwierigkeiten am nächsten Morgen zur Arbeit.
In der Mittagspause dann Besuch bei meinem Orthopäden, einige Tests und dann vorsichtige Entwarnung: Bänderapparat und Kapsel bzw. Meniskus scheinen heil, aber Ruhe ist jetzt angesagt: Ibuprofen, Bromelain, kühle Umschläge und nochmal: Ruhe, Ruhe, Ruhe.
Ich bete, dass mein Doc Recht behält. Erstmal ein paar Tage Pause und dann mal sehen. Hoffen wir das Beste.
Ansonsten nur Erfreuliches: 104. (101. Männer) insgesamt, 11. in der AK M45 und Freiburg-Bestzeit. Auch wenn's offenbar nicht mein Pflaster ist: Ich bereue nichts, weil das eh nichts bringt. Und die 1:22 lange Qual und der Kampf gegen Widerstände waren auch eine gute Lebensschule. Kampfgeist muss man von Zeit zu Zeit einfach auch praktizieren, das hält fit.
Erfreut war ich auch über das erfolgreiche Finishen des ersten Halbmarathons einer Arbeitskollegin. Und auch alle anderen in der Laufszene, die ich so kenne, kamen, egal ob Halb- oder Ganzmarathon, gut an. Na also!
Freiburg 2015: Ergebnisse
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