Sonntag, 14. August 2016

Hitze, Hinterland, Höhenmeter

Hitze, Hinterland, Höhenmeter






Die Fahrt als Animationsfilm von relive.cc


Drei Seen und zwei Pässe an einem Tag


Beeindruckende Bergtour mit einigen Extra-Höhenmetern


Zunächst ging's mal direkt am Gardasee vorbei
Meine erste von zwei geplanten Radausfahrten am Gardasee ersetzte heute den eigentlich auf dem Trainingsplan stehenden langen Lauf von 30 km in 5:30/km. Das schlechte Gewissen plagte mich schon etwas, aber man muss halt Kompromisse machen - auch wenn Herbert Steffny gar nichts davon hält, einen langen Lauf durch Radfahren zu ersetzen.

Ich hielt mich ansonsten an seinen Rat (doppelt so lang fahren wie laufen, Puls 10-15 Schläge niedriger) aber machte ansonsten meinen Frieden mit dem "Systembruch". Ist ja auch nur das eine Mal, versprochen!

Während meine Frau und die Mädels es sich am Strand des Gardasees gemütlich machten, fuhr ich um kurz nach 11 Uhr los.

Kurz vor Salò zwischen Monte Modero und Monte Croce
Es war schon sehr warm, als ich Richtung Desdenzano über die nahe des Sees gelegene Straße aufbrach. Von Beginn an wurde das Fahrvergnügen durch den Dauerstau getrübt - zu gewissen Tageszeiten und in gewisse Richtungen zeigt sich hier die Kehrseite der Medaille dieses hochintensiven Touristengebietes.

Trotzdem genoß ich die Durchfahrt des Hafens von Desdenzano, durchfuhr Moniga del Garda, Raffa und Cunetonne auf der geradesten Strecke und rauschte die Abfahrt nach Salò hinunter.

Mein Ziel war schließlich keine Panoramafahrt entlang der Küste, sondern ich wollte schnellstmöglich Gargnano am Westufer des Sees erreichen, von wo aus es dann in die Berge gehen sollte. Davon abgesehen fuhr ich hinter Salò ohnehin fast ausschließlich an der Küste entlang, wenn auch der Dauerstau, von dem ich eigentlich nur auf der Abfahrt nach Salò verschont blieb, wieder hinderlich war. Erst hinter Cecina, also nach ca. 35 km, war damit Schluß.

Ab Gargagno ging's bergauf!
In Gargagno kam ich mit einem 28er-Schnitt an, ehe es in die Berge ging. Bei der flachen Strecke wäre ich im Falle freier Straßen ansonsten sicher 4-6 km/h schneller gewesen.

An einer Quelle füllte ich erst mal meine Wasserflasche auf und suchte mir bergauf einen vernünftigen Rhythmus, wobei ich bemüht war, nicht mehr als 250 Watt zu treten - schließlich fing der Tag hier erst so richtig an.

Es ging dann auch nett nach oben, die Steigung war gleichmäßig, der Puls bewegte sich im 145er-Bereich. Aber es war heiß, und ich bekam Durst und Hunger. Nach nicht ganz 30 Minuten hatte ich mich von ca. 70 m über N.N. auf 470 hochgearbeitet, als ich an der Trattoria Campeggio Giglio vorbeifuhr - Zeit für Mittagessen!

Der Staudamm des Lago di Valvestino
Ich genoß eine gute Portion Nudeln, ein alkoholfreies Weizenbier und einen hervorragenden Espresso bei bestem Panorama, ehe ich weiter die Strada Provenciale 9 entlang in die Berge hinein fuhr.

Kurz darauf kam ich in das Hochtal des Torrente Tosciano, der hier mittels eines Staudamms zum fjordartigen  "Lago di Valvestino" aufgestaut wird, von dem aus ein Elektrizitätswerk in Gargagno Strom für 30.000 Haushalte liefert.

Es ging rechts am See vorbei, über drei Brücken an Seitenarmen, die Aussichten waren wunderschön, und am Ende des Sees wartete die nächste richtige Steigung.

Molino di Bollone:Ab hier begann der zweite
etwas forderndere Anstieg auf knapp 1.000 m über N.N.
Das kleine Örtchen Molino di Bollone bildet auf 650 m über N.N. den Ausgangspunkt für zwei Passstraßen.

Nach links geht's über die SP 58 Richtung Capovalle, nach links über die SP9 Richtung Turano, wobei man auch hier zwangsläufig irgendwann nach Capovalle kommt - oder irgendwo in einer Sackgasse endet, denn über den Höhengrat führt sonst keine asphaltierte Straße.

Ich fuhr meiner geplanten Strecke nach links Richtung Capovalle und Richtung Passo San Rocco, der lt. Karten 1.020 m über N.N. liegt (ich maß allerdings nur 930), und überwand auf den nächsten sieben Kilometern nochmal 400 hm in knapp 31 Minuten, ehe ich über den Pass fuhr.

Hier hätte ich links ab gemusst. Hätte, hätte, Fahrradkette...
Nun begann das Abenteuer: Mein Plan war eigentlich gewesen, den Passo del Cavallino della Fobbia (1.090 m über N.N.) zu überfahren und dann das Val Degagna in einer langen Abfahrt hinunter zu rauschen. Laut Plan musste ich aber noch ein paar Höhenmeter bis dahin machen, nach einer kurzen Zwischenabfahrt.

Nun, die Zwischenabfahrt begann am Passo San Rocco, und im Rausch der Geschwindigkeit übersah ich wohl das kleine Sträßchen (SP 56), das 800 m nach der Passhöhe nach links abzweigt (siehe Bild). Stattdessen fuhr ich Ohrenschaf weiter die Abfahrt auf der SP 58 runter und wunderte mich, dass die "Zwischenabfahrt" so lang war. Den Warnton meines Garmin tat ich arrogant als Messfehler ab.

Der Lago d'Idro von der SP 58 aus, Blickrichtung Südwest
Als ich meinen Fehler bemerkte, war ich schon ca. 250 hm abgefahren und hatte nun keine Lust mehr, die Wasserscheide zwischen dem Lago d'Idro und dem Gardasee zu überfahren. Stattdessen wollte ich "nach Gefühl" fahren und dann eben am Lago d'Idro weter die Chiese hinab in Richtung Vobarno - in denselben Ort, in den ich auch gekommen wäre, wenn ich das Val Degagna runtergefahren wäre.

Dass im weiteren Verlauf meiner Fahrt aus dem Konjunktiv noch der Indikativ werden würde, was das Val Degagna anging, ahnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht...

Sieht so eine Abfahrt aus? Eher nein.
Zunächst einmal programmierte ich meinen treuen Begleiter, den Garmin Edge 1000, um, auf dass er mir den kürzesten Weg nach Hause zeigen solle, und war gewillt, ihm brav zu folgen. Ich genoß unbeschwert die Abfahrt in Richtung Idro, den großartigen Ausblick auf das südliche Seeende und den schönen Ort, ehe ich, meinem "Gefühl" und meinem Navi folgend, nach der ersten Überquerung einer Brücke über einen kleinen Bach nach links abbog, im Glauben, den Ausfluß der Chiese aus dem See überquert zu haben. Es ging wieder bergan, komisch - aber was soll's? Bestimmt nur ein kleiner Zwischenanstieg.

Was? 12% auf den nächsten 3 km? Was ist das denn? Egal, fahren wir mal - dafür wird die Abfahrt nachher um so schöner! Erst nach 2 km Anstieg eröffnete sich mir mein Fehler: Ich blickte auf den See zurück, diesmal nach Norden, und sah die Chiese im Westen in einem Tal verschwinden. Na klasse!

Endlich oben! Und auch noch ein Brunnen! Danke, Maria!
Egal, dann halt weiter bis zum Scheitel, und dann aber in die Abfahrt! Schließlich sagt der Garmin mir, dass ich richtig bin! Auf dem Bergrücken angelangt, ging es tatsächlich nach links bergab. Juhu! Kurz darauf erreichte ich Trebbio, und es ging - nach oben? Ernsthaft?

Jetzt dämmerte es mir - ich war wieder unterwegs zur Höhe Cime bzw. Cavallino Fobbia Richtung Val Degagna - der Garmin rechnet brutal die kürzeste Strecke aus, nicht zwingend die flachste. Argh! Mir blieb nichts übrig, ich kletterte weiter, es ging durch ein weiteres kleines Bergdorf, Vico, ehe ich endlich, nachdem ich die "Santuario di Santa Maria delle Pertiche" passiert und ein Stoßgebet gen Himmel geschickt hatte, ich möge doch bald die Passhöhe erreicht haben, erhört wurde.

Blick ins Val Degagna kurz nach Beginn der Abfahrt
Es ging rechts ab, und ich war endlich oben. Das war hart! Die dritte Tagesssteigung hatte 450 hm ab Idro auf sieben km, trotz zweier Zwischenabfahrten. Im Vergleich dazu hatte die zweite ab Molino di Bollone bis zum Passo San Rocco ohne Zwischenabfahrten auf gleicher Strecke, wie bereits erwähnt, nur 400 hm. Egal, geschafft!

Links war sogar ein kleiner Brunnen, ich erfrischte mich ordentlich, dankte der Mutter Gottes, füllte meine Flasche auf und machte mich auf in die 11 km lange und 22 Minuten dauernde Abfahrt durchs Val Degagna in Richtung Vobarno, wo ich denn Fiume Chiese endlich sah, denn in ihn mündet die Torrente Agna, der Fluß, der das Tal geformt hat.

Auf den ersten Kilometern ist die Abfahrt noch recht rauh und an einigen Stellen kaum asphaltiert, aber wenn man vorsichtig fährt, geht's auch mit dem Rennrad. Nach knapp 1,5 km kommt von links auch die Straße heraus, von der ich eigentlich hätte kommen sollen, wenn ich mich kurz nach dem Passo San Rocco nicht verfahren hätte.

Kurz vor der Mündung des Torrente Agna in die Chiese
Egal! Ab Vobarno folgte ich weiter brav meinem Garmin, dass mich relativ schnell in bekannte Gebiete zurückbrachte. Oberhalb von Salò war ich wieder "auf Strecke" so wie auf dem Hinweg, und unter Aufbietung meiner Restkräfte strebte ich dem Garda Village, wo wir unsere Urlaubsresidenz hatten, entgegen.

Nach 5:17 Stunden reiner Fahrzeit (insgesamt 6:43 incl. Pausen, Fotostopps und sonstiger Haltenotwendigkeiten) war ich froh, nicht mehr treten zu müssen.

Trotz Verfahrer und manchem Frustmoment - die Tour war klasse! Das nächste Mal, wenn wir hier sind, wird die Gegend nochmals erkundet - unter Einbringung der Erfahrungen von diesem Mal. Aber wetten, dass ich mich dann wieder verfahre?



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